"Jetzt Unternehmen"-Interview mit Barbara van Melle
Die Brotbäckerin, Journalistin, Autorin und Unternehmerin erzählt wie ihr Unternehmen die COVID-19 Krise dank Kunden-Solidarität meistert.
Wie geht es Ihnen aktuell?
Persönlich geht es mir, nach vielen schlaflosen Nächten, zurzeit wieder gut. Ich bin nun in Hinblick auf mein Unternehmen zuversichtlich, dass wir die Krise meistern werden.
Wie läuft Ihr Betrieb derzeit? Welche Bereiche können Sie momentan bedienen (vom Online Shop bis hin zu Back-Workshops)?
Der Betrieb läuft mit großen Einschränkungen, da wir alle Backworkshops absagen mussten. Der Onlineshop läuft gut, die Greißlerei dagegen ist nur an einem Tag in der Woche geöffnet.
Stellen Sie eine Veränderung im Bewusstsein/Kaufverhalten der KundInnen fest (Stichwort: Do it yourself Mentalität)?
Wenn man die Frage auf das Brotbacken bezieht, kann ich das nur uneingeschränkt mit Ja beantworten. Brotbacken lag schon vor der COVID-19 Krise im Trend, für mich war das unübersehbare Bedürfnis der Menschen nach wirklich gutem Brot, das handwerklich gemacht ist und mit den besten Rohstoffen hergestellt wird, der Grund dafür, das Buch „Der Duft von frischem Brot“ zu schreiben, das Kruste&Krume Brotfestival ins Leben zu rufen und schlussendlich eine Brotbackschule zu gründen. Durch die Krise wurde das Interesse am Brotbacken immens gesteigert. Viele Menschen haben erkannt, dass Brotbacken viel mehr als nur ein großartiges Hobby ist. Wer Brot backen kann, hat gleichzeitig die Fähigkeit, das wichtigste Grundnahrungsmittel autark herstellen zu können – und diese Fähigkeit gibt vielen Menschen Zuversicht und Halt in Zeiten der Verunsicherung.
Im Handel sind Backmischungen teils dauerhaft ausverkauft. Wie hat sich die Nachfrage bei Ihnen entwickelt?
Zu Beginn der Krise fühlten wir uns regelrecht überrannt, der Onlineshop explodierte, wir verzeichneten im März eine 300% Steigerung. Das klingt vorerst sehr positiv, war es aber nur eingeschränkt. Denn wir waren auf diesen Ansturm nicht vorbereitet, weder die Logistik noch die Kapazitäten betreffend, vom Lagerstand bis zum Versand. Diesbezüglich waren die letzten zwei Märzwochen eine harte Schule für uns, im April hatten wir den Onlineshop dann bereits besser im Griff.
Wie läuft der stationäre Betrieb (die Greißlerei)?
Die Greißlerei ist zurzeit an Freitagen für sieben Stunden geöffnet und am letzten Freitag reichte die Schlange der KundInnen bis zur nächsten Querstraße. Nachfrage und Interesse sind gewaltig. Unser Problem ist, dass wir aufgrund der Kurzarbeitsregelungen zurzeit nicht an mehreren Tagen öffnen können. Denn auch wenn das Interesse groß ist, fehlen uns die Umsätze aus den Brotbackworkshops, das war bisher das Hauptstandbein des Unternehmens.
Sehen Sie sich als Krisen-Gewinnerin? Das Thema Brot hat in den heimischen Haushalten ja massiv an Bedeutung gewonnen.
Nein, das bin ich sicher nicht. Auch wir kämpfen ganz ordentlich. Wir mussten von Mitte März an alle Brotbackworkshops absagen, und sie waren alle ausgebucht. Prinzipiell hätten unsere KundInnen das Recht, bezahlte Teilnahmegebühren zurückzufordern. Hätten sie das gemacht, hätte das Unternehmen das nicht verkraftet. Wir haben aber unser Problem gleich zu Beginn kommuniziert und von ca. 500 TeilnehmerInnen haben bisher nur sechs ihr Geld zurückgefordert. Alle anderen warten auf die Ersatztermine, die wir anbieten werden. Und es gibt sogar Kundinnen, die uns die Teilnahmegebühr „gespendet“ haben. Viele haben ihre Solidarität bekundet und sagen und schreiben uns, dass sie mithelfen wollen, dass Kruste&Krume die Krise heil übersteht. Das macht uns wirklich Mut und ist auch sehr berührend.
Was hat Sie eigentlich zum Thema Brot gebracht?
Ich koche für mein Leben gern, beschäftige mich seit unzähligen Jahren mit Lebensmitteln, habe in meiner letzten ORF Sendung „Schöner leben“ gekocht und regionale ProduzentInnen eingeladen, bin seit 15 Jahren mit der internationalen Non Profit Organisation Slow Food verbunden und vor diesem Hintergrund schrieb ich 2015 mein erstes Brotbackbuch, das ein Bestseller wurde.
Seit wann betreiben Sie Ihre eigene Firma?
2016 organisierte ich das erste Brotfestival in Wien, das mit 6000 BesucherInnen zum großen Erfolg wurde und mich dazu inspirierte 2017 das Unternehmen „Kruste&Krume“ zu gründen.
Welche Standbeine hat Ihr Unternehmen (Tätigkeitsbereiche vom Online Shop bis hin zu Vertriebskooperationen)?
Das wichtigste Standbein ist die Brotbackschule, sie wurde im Februar 2018 eröffnet, unsere Kurse waren von Anfang an sehr begehrt und so gut wie immer ausgebucht. Gleichzeitig starteten wir den Onlineshop, wir wollten die besten Backzutaten für HobbybäckerInnen verfügbar machen, und im Dezember 2018 die erste „Mehl-Greißlerei“ Österreichs, ein Spezialgeschäft mit Bäckermehlen, Backzutaten und Backzubehör. Ebenfalls 2018 starteten wir unseren YouTube Channel, mit Rezepten und Tipps rund ums Brotbacken. Wichtig waren und sind unsere strategischen Partner, dazu gehören erfolgreiche Unternehmen wie MIELE, Ewe-Küchen, PANEUM, Kenwood oder Ja!Natürlich.
Welche Erfahrungen und Learnings haben Sie als Unternehmerin vor oder auch während der Krise gemacht, die Sie unseren LeserInnen gerne mitgeben möchten?
Ich weiß nicht, ob ich eine „richtige“ Unternehmerin bin. Ich agiere sehr oft spontan und vor allem lasse ich mein sogenanntes Bauchgefühl sprechen und oft auch entscheiden. So habe ich 2019 nach einem höchst erfolgreichen Brotfestival in der Marx Halle entschieden, dass nicht nur ich, sondern auch das Kruste&Krume Team, Ruhe und Zeit für andere Dinge brauchen, und dass wir deshalb im März 2020 kein Festival organisieren werden. Heute haftet dieser Entscheidung etwas nahezu Hellseherisches an. Dabei ist sie nur dem besagten Bauchgefühl entsprungen, dem in meinem Unternehmen viel Raum gegeben wird.
Zu den Backworkshops: Wann rechnen Sie damit, dass diese wieder stattfinden können?
Also ich habe wirklich unzählige Tage versucht, eine offizielle Auskunft darüber zu erhalten, wann und unter welchen Bedingungen wir wieder Workshops anbieten dürfen. Allerdings ohne Erfolg, das Problem ist nämlich, dass wir mit unserer Tätigkeit nicht wirklich zuordenbar sind. Wir haben uns nun entschlossen, in der letzten Mai-Woche wieder zu beginnen, unter Beachtung der geltenden Abstands- und Sicherheitsregelungen.
Gibt es Online Tutorials?
Unser YouTube Channel läuft besser, als je zuvor. Wir haben nun fast 13.000 Abonnenten und die Zahlen steigen jede Woche.
Am Beginn der Krise entschlossen wir uns kurzerhand, jeden Dienstag ein Livestream Video auf Facebook zu posten, mit Rezepten und Tipps zum Brotbacken, unentgeltlich natürlich, ganz einfach weil wir die Menschen mit Rezepten versorgen wollten. Belohnt wurde unser Einsatz mit dem unglaublich positiven Feeback unserer SeherInnen.
Was haben Sie aus der Krise gelernt bzw. vielleicht in der Krise schneller umgesetzt als im normalen Geschäftsbetrieb?
Die Krise zwang uns zur Neubewertung und Neuausrichtung der verschiedenen Standbeine des Unternehmens. Erstmals wagten wir Live-Videos und ich strukturiere gerade die Greißlerei neu und erweitere das Sortiment für die Greißlerei und den Onlineshop. Das hätte ich ohne diese Krise sicher nicht gemacht und mittlerweile spüre ich, dass die Neuausrichtung auch neue Sicherheiten für das Unternehmen und die MitarbeiterInnen bringen wird.
Wie sieht Ihr Ausblick für Ihr Unternehmen in den nächsten Monaten aus? Was ist Ihre Einschätzung?
Ich plane den Start der Workshops Ende Mai und dann werden wir im Sommer mit der Abarbeitung aller Workshopplätze beschäftigt sein, die aufgrund der Krise abgesagt werden mussten. Ich bin wirklich zuversichtlich, aber nur vor dem Hintergrund, dass die Krise abflaut und es zu keinem Rückfall und einem erneuten Lock-down kommt.
Abschließend: Ihre Einschätzung, inwiefern die Krise auch das Kaufverhalten bzw. das Bewusstsein der Menschen im Umgang mit Lebensmitteln verändern wird?
Diese Krise wird unauslöschliche Spuren hinterlassen, davon bin ich überzeugt. Und ich hoffe, dass sie auch das Kaufverhalten nachhaltig verändern wird. Wir haben erlebt, wie wichtig regionale Wertschöpfungsketten sind und welche Probleme es mit sich bringt, wenn (überlebens)wichtige Produkte, von medizinischer Schutzausrüstung bis zur Hefe, nicht in Österreich erzeugt werden. Ich hoffe, dass KonsumentInnen all das bedenken und die regionale Wirtschaft mit ihren Kaufentscheidungen stärken.
Dieser Artikel wurde am 11. Mai erstellt.
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Barbara van Melle
Geschäftsführerin von Kruste&Krume GmbH